Matthias S. Krüger (DE) – beben
Matthias S. Krüger about his piano piece “beben”:
“Wo finde ich gemeinsame Schnittmengen mit dem Schaffen Beethovens? Beethoven ist weniger ein timbraler Komponist als beispielsweise Mozart oder Schubert. Timbrale Aspekte spielen in meinem Komponieren, für welches das Ausloten neuer Tonalitäten auf Basis von Klangspektren, von komplexen Obertonverbindungen wesentlich ist, was Mikrotöne konsequent mit einschließt, eine zentrale Rolle.
Die nächste Herausforderung: Das Klavier, dem Töne jenseits der zwölf temperierten Halbtöne nur sehr mühsam abzuringen sind.
Bei meiner Suche nach möglichen Anknüpfungspunkten biss ich mich fest an einer Stelle der Klaviersonate op. 110, die ich einst selbst gespielt hatte: Dem Rezitativ. Hier, so fühlte ich, hat Beethoven fast im Vorbeigehen mit unerhörten mediantischen, enharmonischen Harmonieverbindungen und der Bebung auf der Septe die Tür zu einem timbrale Aspekte reflektierenden Komponieren ganz weit aufgestoßen.
Ich unterstelle ihm, dass er hier dem feinen Unterschied zwischen der Dominantsepte, ohne deren Auflösung kein anständig erzogener Europäer ins Bett geht, und der tieferen, nicht auflösungsbedürftigen Natursepte nachspürt. (Beethoven löst hier die Septe erst nach sehr langer Zeit insistierenden Schwebens und Bebens, dessen Realisierung nach wie vor Gegenstand musikwissenschaftlicher Forschung ist, und nicht direkt auf.)
Mittels erweiterter Klaviertechniken wie beispielsweise Flageolets und Flageoletmehrklänge, mit denen sich auch dem Klavier Mikrotöne entlocken lassen, nehme ich die Schwebung zwischen Natursepte und Dominantsepte und zwischen anderen Intervallen der Naturtonreihe und den ihnen nächstliegenden temperierten Tönen sowie deren mögliche harmonikale, hypermediantische Kontextualisierungen kompositorisch über das ganze Klavier verstreut unter die Lupe. Unterwegs blitzen auch noch Bezüge zu weiteren Stellen aus der Klaviersonate op. 110 und anderen Werken Beethovens auf.”
“beben” – in concert:
Matthias S. Krüger (*1980)
wurde in Rottweil geboren. Kompositionsstudien bei York Höller, Frédéric Durieux, Georg Friedrich Haas und Eric Oña, Dirigier- und Klavierstudium in Köln, Paris (CNSMDP, IRCAM), Frankfurt/M. und Basel. Zahlreiche Meisterkurse für Dirigieren und Komposition, u.a. 2011 die Session de composition „Voix Nouvelles“ der Fondation Royaumont mit Brian Ferneyhough, Mark André und Hèctor Parra.
Von 2007 – 2010 übte er Lehrtätigkeiten in elektroakustischer Komposition und Dirigieren an der HfMDK Frankfurt/M. aus, 2010/11 war er Gastdozent für zeitgenössische Musik an der Kunstuni Graz.
Stipendien u.a. der Studienstiftung des deutschen Volkes, der Heinrich-Strobel-Stiftung (SWR) und des DAAD. Er erhielt Kompositionspreise wie 2002 den Stipendienpreis der Darmstädter Ferienkurse, 2003 den Preis der „Ensemblia“ Mönchengladbach, 2013 den 1. Kompositionspreis der Krefelder Tage Neuer Musik und war 2014 Preisträger des Karlsruher Kompositionswettbewerbs. Einladungen zum 7. Nachwuchsforum des Ensemble Modern 2004 und zum Tremplin 2006/07 des Ensemble Intercontemporain und des IRCAM.
Aufführungen und Auftritte u.a. in der Abbaye Royaumont, im Arnold-Schönberg-Center Wien, im Konzerthaus Berlin, im Budapest Music Center, im Teatro Coliseo in Buenos Aires, in der Vahdad Hall Teheran, im Salle Cortot sowie im IRCAM/Centre Pompidou – „Festival Agora“ in Paris, im ZKM Karlsruhe, beim CEC – Toronto Electroacoustic Symposium, bei den Darmstädter Ferienkursen, dem Off-Programm „Next Generation“ der Donaueschinger Musiktage, bei „impuls“ Graz, „Ensemblia“ Mönchengladbach, den Krefelder Tagen Neuer Musik, den Schwetzinger Festspielen und dem „ZeitGenuss“ Festival Karlsruhe.
Dabei arbeitete er u.a. mit Susanna Mälkki, Hille Perl, Sarah Wegener, Christian Dierstein, Pascal Gallois, Jürg Henneberger, Nicolas Hodges, Johannes Kalitzke, Stephan Schmidt, Johannes Schwarz, Mike Svoboda, Peter Veale, Bernhard Wambach und Marcus Weiss, dem Ensemble Intercontemporain, Ensemble Modern, Ensemble Phoenix Basel, Ensemble Reconsil Wien, Lebanese Philharmonic Orchestra, der musikFabrik NRW, dem Orlando di Lasso Ensemble, der Polnischen Kammerphilharmonie, dem RSO Stuttgart und dem Teheran Symphony Orchestra zusammen.
Rundfunk- und Fernsehproduktionen u.a. beim BR, DLF, HR, SWR, WDR, ZDF info und bei Radio France.
Seit 2011 sind die Kompositionen von Matthias S. Krüger beim Verlag BabelScores Paris und beim Simon Verlag Berlin verlegt.
Matthias S. Krüger lebt als freischaffender Musiker mit seiner Frau und seinem Sohn im südbadischen Lörrach bei Basel.
Website babelscores Matthias S. Krüger